"Culture Shock" - Blog
2022-06-30
Wie ich wurde, was ich bin
Ich bin Ina, Wirtschaftsjuristin bei Tag, Online-Köchin & Culture Queen bei Nacht. Letzteres war quasi vorprogrammiert, aber die ersten beiden habe ich nicht unbedingt kommen sehen. Aber der Reihe nach…
Es war an einem ganz normalen Dienstag im März 1983… nein, nur Spaß! Ich fange jetzt nicht bei meiner Geburt an. Ein bisschen ausholen muss ich allerdings schon, damit du nachvollziehen kannst, wie ich zu der Person geworden bin, mit der du es heute zu tun hast. Also hol dir ein Getränk, mach es dir bequem und dann geht’s los!
Teenie on Tour
Ins Ausland gezogen hat es mich schon früh. Als 1997 mit 14 Jahren meine Jugendweihe anstand (wer’s nicht kennt: quasi Konfirmation ohne Kirche, #ostkind), haben viele meiner Freunde eine große Feier veranstaltet und das von Verwandten geschenkte Geld für den Führerschein aufs Sparbuch gelegt. Ich dagegen wollte viel lieber eine Reise machen. Es ging mit einer Jugendgruppe nach Ungarn an den Balaton. Das erste Mal ohne Eltern weiter weg als bis zur Oma nach Teterow! Im Ausland war ich mit meinen Eltern bis dahin nur in Polen und Österreich gewesen. Aber mir war klar, es gibt noch so viel mehr zu entdecken!
In den Sommern 1999 und 2000 nahm ich an Workcamps des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge teilgenommen. Unter dem Motto „Arbeiten für den Frieden“ war ich mit einer Gruppe Jugendlicher und einigen Bundeswehrsoldaten auf den Spuren des Ersten Weltkrieges bei Verdun in Frankreich unterwegs. Vormittags haben wir Kriegsgräberstätten instandgesetzt. Nachmittags besuchten wir Schlachtfelder und Gedenkstätten des ersten Weltkrieges. Im zweiten Jahr war ich bei einer französischen Familie untergebracht, was die Reise noch einmal eindrücklicher machte, Praxistest für mein geliebtes Schulfranzösisch inklusive. Geblieben sind vor allem zwei Erkenntnisse: 1.) Krieg ist keine Lösung. Niemals! 2.) Ich will noch vielmehr von der Welt sehen und mit den Menschen vor Ort in Kontakt und in den Austausch kommen. Vorurteile abbauen, hinter die Klischees schauen, verstehen.
Aus diesem Grund wollte ich nach dem Abi nicht direkt von einer Schulbank auf die nächste wechseln, sondern erstmal hinaus in die Welt. Der Europäische Freiwilligendienst führte mich 2002 als „Lehrerin“ und Sommercamp-Betreuerin an die Fremdsprachenschule “In Downtown” nach Tallinn, die wunderschöne Hauptstadt Estlands. Eine intensive Zeit mit Crashkursen in zwei neuen Fremdsprachen (Estnisch & Russisch) und vielen Eindrücken, die mich bis heute prägen. Spannend waren vor allem die Aha-Momente mit meinen Schülern, Kollegen und Freunden, wenn mir kulturelle Unterschiede bewusst auffielen und sich dadurch etwas am Verhalten der Locals für mich erklärt hat. Und mir umgekehrt auch klar wurde, warum ich dieses oder jenes anders mache. Im Rückblick waren die Sommermonate, die ich bei zwei estnischen Familien verbracht habe, die beste Zeit. Denn in eine Familie aufgenommen zu werden und in den Alltag integriert zu sein, ist etwas ganz Besonderes.
Wirtschaft & Jura – I didn’t see that one coming!
Mein Hunger nach der weiten Welt war damit aber keinesfalls gestillt. Ein englischsprachiger Studiengang mit internationaler Ausrichtung und Fokus auf interkulturelles Management (Baltic Management Studies an der Hochschule Stralsund) war daher für mich im Herbst 2003 ein logischer nächster Schritt. Getriggert haben mich natürlich der Auslandsbezug und die Fremdsprache, die das Studium beinhaltete. Dass es sich um ein Studium in Wirtschaft und Management handelte, war für mich damals eher zufällige Nebenwirkung als bewusste Entscheidung. Little did I know, dass mir das so gut gefallen würde. Ich hatte mich bis dahin immer im sozialen, pädagogischen oder gemeinnützigen Bereich gesehen. Überraschung gelungen!
Das obligatorische Auslandssemester hatte ich (vor allem aus finanziellen Gründen) mit dem Praxissemester kombiniert und fast ans Ende der Studienzeit geschoben. Greif nach den Sternen, dachte ich mir damals, nahm all meinen Mut zusammen und bewarb mich bei einem großen Unternehmen. Und so bin ich 2006 in den Niederlanden, genauer gesagt in Maastricht gelandet. An einem Standort des besagten Unternehmens, an dem über 40 Nationalitäten in der Belegschaft vertreten sind. Und mit Niederländisch kam auch wieder eine neue Sprache ins Spiel (diesmal ohne Sprachkurs, #Learningbydoing). Nachdem, was du bisher gelesen hast dürfte es dich also nicht mehr wundern, dass ich mich in diesem internationalen Umfeld pudelwohl gefühlt habe. Und so wurde aus dem Praktikum eine Festanstellung und aus den ursprünglich geplanten sechs Monaten letztlich sechs Jahre.
Der Job hat mir übrigens auch gefallen 😉. Eingestiegen bin ich im Controlling, kam aber 2007 zum Compliance Management. Wie die Jungfrau zum Kind könnte man fast sagen. Die einzige Juristin am Standort wechselte in ein anderes Unternehmen, aber irgendjemand musste dieses neue Thema angehen. Ich bin heute noch froh darüber, dass damals Leistung und Einsatzbereitschaft mehr gezählt haben als Alter und Titel. Mein damaliger Chef hat mir den Job zugetraut und ich habe die Herausforderung gerne angenommen. Die Niederländer wundern sich übrigens regelmäßig, weshalb wir Deutschen so viel Wert auf Urkunden und Zertifikate legen.
Nach einigen Jahre in diesem Thema und regelmäßigen Berührungspunkten zu juristischen Fragestellungen kam dann 2009 das berufsbegleitende Fernstudium in Wirtschaftsrecht auch nicht mehr aus ganz heiterem Himmel. Hätte mir allerdings jemand zu Abi-Zeiten prophezeit, dass ich mal die juristische Schiene einschlagen würde (wenn auch nur in der „light-Version“), dann hätte ich herzlich gelacht. Einen Job, der aus Klageschriften und Gerichtsverhandlungen besteht, konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen. Ich hatte einfach keine Vorstellung, welche Themenvielfalt in diesem Bereich möglich ist.
Aber auch wenn mir die Materie gut gefällt, für ein Fernstudium würde ich heute nicht mehr so einfach entscheiden. Zum einen ist es neben einem Vollzeitjob eine große Doppelbelastung. Zum anderen habe ich den Austausch und gemeinsame Projekte mit meinen Kommilitonen sehr vermisst. Über Büchern und Skripten zu brüten, ist einfach nicht meine Lernweise. Zu theoretisch, zu langweilig, zu einsam. Anyway, ich habe mich durchgebissen und hatte 2011 den Masterabschluss in Wirtschaftsrecht in der Tasche.
Die Sache mit dem Kochen
Auch die Sache mit dem Kochen lag nicht unbedingt auf der Hand. Ich hatte als Jugendliche den Traum, mich nur noch von Fertiggerichten zu ernähren, wenn ich mal alleine wohne. Aber genau das Gegenteil ist passiert. In Estland habe ich zum ersten Mal alleine gewohnt und musste mich nun selbst versorgen. Fertigessen war mir da sehr schnell über. Also musste ich wohl oder übel anfangen, selbst zu kochen. Ich erinnere mich noch daran, wie ein dicker Brief meiner Eltern mit Kopien etlicher Seiten aus einem alten DDR-Kochbuch bei mir in Tallinn ankam (ja, liebe Kinder, früher ging sowas per Post 😉). Als erstes habe ich mich an Soße versucht, damit ich nicht mehr nur trockene Komponenten auf dem Teller hatte.
Meine Studienzeit bestand dann trotzdem erstmal hauptsächlich aus Spaghetti mit Tomatensoße aller Art, selbstbelegter Pizza und so ziemlich allem, was man mit „Fix für…“ zubereiten kann. Das hatte mich auch erstmal nicht weiter gestört, bis mir eines Tages auffiel, dass „Fix für schwedische Köttbullar“ genauso schmeckt „Fix für Züricher Geschnetzeltes“. Der einzige Unterschied bestand in der jeweiligen Fleischbeilage. Das war ein ziemlicher Eye Opener! So eng verwandt konnten die schwedische und die Schweizer Küche nun auch nicht sein. Da ich mich in Estland schon erfolgreich an Soßen versucht hatte, habe ich von da an auch den Rest selbstgemacht und mein Repertoire Stück für Stück erweitertet.
Game Changer Mexiko – in jeder Hinsicht
Obwohl ich inzwischen gerne kochte und auch gelegentlich mal ein neues Rezept ausprobierte, blieb das Kochen lange mehr notwendige Aufgabe statt Passion. Gerade im vollgepackten Berufsalltag blieb dafür zu wenig Zeit und Muße.
Das änderte sich erst als mein Partner (er, der nicht genannt werden will) das Angebot für einen dreijährigen Expat-Einsatz in Mexiko bekam. Ein großes Abenteuer zeichnete sich ab! Doch trotz aller Bemühungen fand sich keine Möglichkeit für mich, vor Ort ebenfalls beruflich tätig zu sein. Mit gemischten Gefühlen entschied ich mich dazu, ein langes Sabbatical zu nehmen, um mit nach Mexiko gehen zu können. Eine krasse Umstellung! Bis dahin hatte ich immer gern und vor allem sehr viel gearbeitet. Zuletzt war ich im Unternehmen im Bereich Whistleblowing tätig. Ein unheimlich spannendes, aber auch herausforderndes Tätigkeitsfeld (ein bisschen Robin Hood-Feeling 😉 ist auch dabei). Ein Job, für den ich brannte, der mir aber auch Einiges abverlangt hatte.
Und so wurde ich im Mitte 2017 plötzlich zu „Expat Wife“ und Hausfrau. Beruflich eine Vollbremsung. Klischees von Country Club und Nagelstudio machten mir tierisch Angst. Aber in Aguascalientes in Zentralmexiko läuft das Leben zum Glück etwas anders. Zunächst war ich – ganz klischeehaft - mit „Nestbau“ beschäftigt. Alltag organisieren, Nahrungsbeschaffung, Haus einrichten, ergründen, wie man Strom ohne Stromrechnungen bezahlt, … you name it. Aber was würde ich mit all der neugewonnenen Freizeit anfangen, wenn sich der erste Staub, der Zauber des Neuen gelegt hätte?
Von einer mexikanischen Freundin bekam ich den Tipp, dass im Herbst die Kochkurse an der UAA (Universidad Autonoma Aguascalientes) ins neue Semester starten. Auf Spanisch wohl gemerkt. Hurray für die neue Fremdspracche, ohje für meinen bis dahin kaum existenten Wortschatz. Trotzdem brach ich im Oktober 2017 mit mehr als überschaubaren Brocken Spanisch zur ersten Kurseinheit auf. Ein riesiger Schritt aus meiner Komfortzone, denn ich bin gern mal ein kleiner Angsthase. Was ich vor dem Kurs nicht wusste: die erste Einheit bestand aus vier Stunden Theorie am Stück. Und der einzige englische Satz, den ich unseren Dozenten je sagen hörte, lautete: „No English in my classroom!“
Glücklicherweise sind die Mexikaner extrem freundliche und geduldige Zeitgenossen, ohne Berührungsängste. So wurde ich schnell in die Gruppe integriert und mit Händen, Füßen und Google Translate unterstützt, wenn mir die Worte fehlten. Ich habe mich so wohl gefühlt, dass ich in den folgenden Semestern weitere Kochkurse belegte. Ein Semester lang waren mein Wörterbuch und ich sogar Gasthörerin an der juristischen Fakultät.
Ich merke schon, wie ich in Erinnerungen schwelge und abzuschweifen drohe. Das Thema Mexiko werde ich also zu einem anderen Zeitpunkt und an anderer Stelle noch einmal aufgreifen. (Schreib mir gern, wenn dich etwas dazu besonders interessiert.)
Da mich die Mexikanerinnen und Mexikaner so herzlich aufgenommen hatten, wollte ich etwas zurückgeben und lud meine Kursgruppe zum Semesterabschluss zu mir nach Hause zum Kochen deutscher Gerichte und zu Geschichten aus Deutschland ein. Ein toller Abend und der erste kleine Schritt in Richtung La Cocina Cultural. Immer mal wieder lud ich Freundinnen zum Kochen zu mir ein, war im Gegenzug auch immer wieder bei mexikanischen Familien zu Gast. Daraus entstanden tolle Gespräche über Gemeinsamkeiten und Unterschiede unserer Kulturen. Und es wurde stets herzlich gelacht.
Rückkehr nach Deutschland – Was jetzt?
Anfang 2020 neigte sich unsere Zeit in Mexiko dem Ende zu. Ich war traurig, wollte mein geliebtes Mexiko nur ungern verlassen. Mexiko und ich, das fühlte sich nach einem Perfect Match an.
Der Ausstieg aus dem Job war knapp drei Jahre zuvor nicht einfach gewesen, da ist mental sehr viel bei mir passiert. Daher holte ich mir für den Abschied von Mexiko einen Coach an die Seite. Die richtige Entscheidung! Nach nur wenigen Sessions wurde mir klar, die Rückkehr nach Deutschland nimmt mir nichts weg. Im Gegenteil, ich gehe mit einem Koffer voller toller Erfahrungen, Erinnerungen und neuen Freundschaften nach Hause. Und ich allein bin dafür verantwortlich und dazu in der Lage, die nächsten Kapitel meines Lebens zu Abenteuern zu machen, so wie Mexiko eines war. Und machte ich im März 2022 einen Restart in meinen Job als Wirtschaftsjuristin. Diesmal im Bereich Strafrecht.
Aber wie konnte es in Deutschland mit La Cocina Cultural weitergehen? Meine Küche in Mexiko war riesig. Workshops mit 5 Teilnehmern ließen sich dort gut machen. In meiner deutschen Küche haben gerade mal zwei Personen Platz. Was nun?
Dann kam die Pandemie. Obwohl drastisch, war es für mich beinahe ein Glücksfall, soweit man das in diesem Zusammenhang sagen kann. Zum einen hat mich dieser Einschnitt vermutlich vor einem Kulturschock bewahrt, da sich das Leben für alle schlagartig änderte, nicht nur für mich als Rückkehrerin. Zum anderen eröffnete sie mir die Möglichkeit, meine Kochworkshops online zu veranstalten. Home-Office-Fan war ich schon vor meinem Sabbatical gewesen. Und in Mexiko ist mir besonders aufgefallen, dass ich spannende Kurse aufgrund großer Entfernungen nicht besuchen konnte. Online-Programme wären da die Lösung gewesen!
Aber funktioniert auch Kochen online? Yes, it does! Was ich zunächst mit Freunden ausprobierte, wurde im Februar 2021 vom reinen Hobby zur nebenberuflichen Selbstständigkeit. La Cocina Cultural entwickelt sich, mein Fokus und meine Ziele wurden klarer. Nicht zuletzt durch die Mastermind Smash it! von Laura Roschewitz und Gretel Niemeyer.
Neben offenen Workshops biete ich Online-Kochevents, die remote arbeitende Teams chillt in den Feierabend bringe. In meinem Kopf rotieren noch weitere Ideen, sodass es nicht langweilig werden wird. (Trag dich am besten gleich für meinen Newsletter ein, um nicht zu verpassen.)
So, das war jetzt lang. Herzlichen Dank, dass du bis hier gelesen hast!
Du hast eine Frage? Gar kein Problem, die beantworte ich dir gerne. Schreib mir einfach!
Love, Ina
Admin - 22:10:54 | Kommentar hinzufügen